Macht und Ritual
Inszenierte Wirklichkeit
Review zur Ausstellung, Prager Zeitung, 21.4.2004
Text © by Vera Hullen
Die Leica Gallery Prague zeigt Fotos von Bernd Arnold, die einen Blick hinter die Kulissen der menschlichen Selbstdarstellung geben.
Er habe schon als Kind immer Orte der Inszenierung aufgesucht, erklärt Bernd Arnold seine Faszination für unterschiedlichste Rituale und Zeremonien – kirchlicher, profaner und politischer Natur. Die Welt als Theater begreifend, entdeckte er den abstrakten und unwirklichen Raum der geschlossenen Gesellschaften mit den ihnen immanenten Regeln. Die Ergebnisse seiner langjährigen Entdeckungsreise werden noch bis zum 31. Mai – in der jetzigen Form erstmalig – mit rund 70 Fotos unter dem Titel MACHT UND RITUAL von der Leica Gallery Prague präsentiert.
Der 1961 in einem katholischen Kölner Beichtstuhl geborene und trotz dieses Schicksalswinkes evangelisch getaufte Arnold absolvierte ein Fotodesign-Studium an der FH Dortmund und begann schon früh für Kölner Lokalblätter, später auch für den "Stern" und das "Zeit-Magazin" zu arbeiten. Im Laufe von 14 Jahren entstand eine Reihe von Schwarz-Weiß-Bildern, die die Gesten der Macht und die Selbstdarstellung thematisiert.
Die Ausstellung ist in fünf Bereiche gegliedert, die sich mit den konstruierten Wirklichkeiten von Kirche, Fernsehen, Politik, Wirtschaft und Eros beschäftigen. Das verbindende Element dieser Geschichten ist die Ebene der Macht: Der Glaube als existentielles Bedürfnis wird durch Hierarchien und Verhaltensweisen bestimmt und verfestigt. Thematische Klammern sind fünf einzelne Farbfotografien, die allesamt im Kölner Eroscenter entstanden sind. Arnold ist es insbesondere durch diesen Kontrast gelungen, ein Blick hinter die Fassade zu werfen. Die unbetitelten Bilder erlauben dem Betrachter, durch eigene Assoziation hinter die Maskerade zu schauen und die jeweiligen Machtstrukturen selbst zu erkennen.
So zeigt der Fotograf die katholische Kirche als Ort der Ehrfurcht, der Demut und gleichzeitig als Ort des Prunks und der Ränkespiele – die Kirche als Symbol der Machtausübung über die Gläubigen.
Eine ganz andere Art von Religion wird in den Bildern aus der Kölner Fernsehwelt visualisiert. Mit der provokanten Frage Ist die Erde eine Mattscheibe? soll die zunehmende Abhängigkeit und Gutgläubigkeit der Bevölkerung von dem fast allmächtigen Medium dargestellt werden. Die Inszenierung einer abstrakten Welt, die doch immer mehr als Realität angenommen wird und deren Einfluss zusehends wächst. Das Fernsehen als Manipulationswerkzeug der Einflussreichen.
Anders, deutlich personenspezifischer, sind dagegen die Bilder der Wahlkämpfe aus den Jahren 1994, 1998 und 2002. Kohl als vermeintlich sicherer Fels in der Brandung, letztlich aber doch mehr unbeweglicher Brocken, der das politische Feld räumen musste. Daneben Schröder mit seiner Formel der "Neuen Mitte" – er selbst rechts am Rande des Bildes. Arnold nutzt den bekannten Slogan, um diesen in seiner persönlichen Bildsprache zu enttarnen und die Politik in ihrer Theaterhaftigkeit zu überführen.
Reichlich ernüchternd wirken die Bilder aus dem Eroscenter in Köln. Prostituierte in ihrem Arbeitsalltag, der von verlebter Erotik geprägt ist. Bilder von Türstehern, vermeintlichen Zuhältern und Freiern, denen die verwelkten Damen aus der Halbwelt zu Diensten sein müssen.
Eine letzte Reihe von Fotografien ist den internationalen Wirtschaftsgipfeln gewidmet. Wo, wenn nicht dort, kommt Macht so gänzlich ohne Worte aus? Herren in dunklen Anzügen, gewichtigen Gesten und einem freundlichen Lächeln auf den Lippen – ein Gipfel der Zeremonien und Maskeraden.
Bernd Arnold ist mit seinen Fotografien eine sehr persönlich geprägte Darstellung der inszenierten Macht und ihrer Rituale gelungen. Parallel zur Ausstellung zeigt das Goethe-Institut Prag im Mai zusätzlich Kontaktbögen der ungefähr 25 000 Aufnahmen aus dem Arbeitsprozess zu "Macht und Ritual".
Leica Gallery Prague | Prag 1, Prager Burg
- Mongraphie Das Kölner Heil, Schaden Verlag, Bornheim, 1997
- Choreografie der Macht, Hans-Michael Koetzle, Leica World, 2000
- Macht und Ritual, Eröffnungsrede, Dr. Christoph Schaden im Stadtmuseum Köln, 2006
- Monographie Wahl Kampf Ritual, Edition Panorama, Mannheim 2013
- Die Welt der Neuen Bilder – 3 Essays, morisel Verlag, Asbach 2023
Siehe auch weitere Literatur: