Choreographie der Macht
Text von Hans-Michael Koetzle
in Leica World 1/2000
Der Kölner Fotograf Bernd Arnold interessiert sich für gesellschaftliche Rituale. Mit hintergründigen Bildern aus der großen Politik konnte er sich beim letztjährigen (1999) Leica Oskar-Barnack-Preis unter den ersten Zehn plazieren.
Auch das kommt vor: Dass Bernd Arnold von einem Termin spät abends nach Hause rast, in der Dunkelkammer seine Filme entwickelt, eine Auswahl trifft, vergrößert, die Ergebnisse scannt und dann per e-mail an die betreffende Redaktion schickt. Auch das kommt vor. Aber eigentlich ist es eher die Ausnahme. Nicht daß Bernd Arnold, nicht zu den gesuchten Vertretern einer jüngeren Generation von Fotojournalisten gehören würde. Nicht daß er Probleme hätte, an entsprechende Aufträge heranzukommen. Geändert haben sich ganz einfach die Zeiten. Geändert hat sich das Gesicht des Fotojournalismus und mithin die Praxis des Fotojournalisten. Die Fotografie, wir wissen es, hat den Wettlauf mit dem Fernsehen verloren. Eine neue Erkenntis ist das nicht. Allenfalls wird man daran erinnern dürfen, daß es so etwas wie ein letztes Aufbäumen gegeben hat.
Einen letzten Versuch, dem Fernsehen in Sachen Aktualität Paroli zu bieten. Im Februar 1965 starb Winston Churchill. Nicht weniger als siebzehn Fotografen, über vierzig Journalisten und Techniker, ein Dutzend Motorradfahrer, zwei Hubschrauber sowie ein gechartertes Flugzeug mit eingebauter Dunkelkammer waren seinerzeit von der Illustrierten Life aufgeboten worden, um etwa 35 Millionen Lesern das Ereignis möglichst zeitnah in Wort und Bild zu übermitteln. Aus heutiger Sicht ein eher kurioses Unternehmen. Im Dezember 1972 wurde Life als wöchentliche Illustrierte bekanntlich aufgegeben.
Der Aufgabe, schnell und aktuell zu sein, weitgehend enthoben,konnte sich die berichtende Fotografie seither ihrer selbst besinnen. Womöglich besaß sie ja eine Qualität, die das Fernsehen so nicht hatte und hat. Das Fernsehen, das längst nicht mehr nur >live< berichtet, sondern oft vor dem Ereignis am Ort ist bzw. durch seine Präsenz Ereignisse erst provoziert. Regelrecht "alt" wirkt das Bildmittel Fotografie neben diesem mittlerweile omnipräsenten Phänomen. Oder positiv gekehrt: auf sympathische Art solide.
Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz hat in diesem Zusammenhang einmal vom "großen stillen Bild" gesprochen als einem Hort der Ruhe und Konzentration im unaufhörlichen visuellen Datenstrom. Das klassische Foto, mit anderen Worten, besitzt in seiner Schwäche eine Stärke. Es gestattet die Kontemplation. Die vertiefende visuelle Analyse. Wo das Fernsehen durch Bewegung, Geräusche und Musik Ablenkung schafft und Information zum Zeitvertreib verkommt, lädt das konventionelle fotografische Bild ein zu Entdeckungen: Was im eigentlichen Sinne des Wortes – nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als daß ein Vorhang sich hebt und Wesentliches sichtbar und erkennbar wird.
Bernd Arnold gehört zu jener neuen Generation von Fotojournalisten, die etwa das Ende der großen Illustrierten keineswegs gleichsetzen mit dem Ende des Fotojournalismus. Die vielmehr suchen: nach neuen Foren, neuen Formen der Präsentation und einer innovativen Bildsprache, die geeignet sein könnte, den komplexen Phänomenen der globalen Postmoderne auf die Spur zu kommen. Arnold plant, konzipiert Bücher. Er bestreitet vielbeachtete Ausstellungen. Und befindet sich damit in der guten Gesellschaft bekannterer Kollegen (von Gilles Peress bis Fazal Sheikh), die diese selbstverantworteten Formen der Bildkommunikation prominent vorgedacht und vorgemacht haben. Was bei Arnold nicht ausschließt, daß er nach wie vor engagiert für die Presse tätig ist. Für Merian und den Stern, den Spiegel und das Schweizer Magazin hat er im Auftrag fotografiert. Auch für das inzwischen eingestellte Zeitmagazin, GEO oder Die Woche.
Bernd Arnold stammt aus Köln. Was im Zusammenhang mit seinem frühen Interesse am Theater insofern von Bedeutung ist, als die Domstadt ein Hort unterschiedlichster Zeremonien und Rituale ist: kirchlicher, profaner, politischer, närrischer. Und ebendiese Rituale waren und sind es, die Bernd Arnold in seiner Fotografie beschäftigen. Schon im ersten Semester seines Studiums seien ihm politische Veranstaltungen als mögliches Thema aufgefallen, meint Bernd Arnold. Sein Examen besteht er zunächst mit einer Arbeit über das Kölner Halbweltmilieu, das aber, wie Arnold betont, »ja auch sehr stark mit Inszenierung arbeitet«. Es folgte ein vielbeachteter (im Schaden Verlag, Köln, auch als Buch publizierter) Bildessay über Rituale der katholischen Kirche (Das Kölner Heil). Und im Oktober 1998 dann – sozusagen – die Rückkehr zur Politik. In der Regel, so Arnold zu seinem Ansatz, würden Politiker auf Wiedererkennbarkeit hin fotografiert. »Und Bildredakteure suchen in der Regel ja auch Fotos aus, die möglichst nah am Klischee sind. Mir hatte immer vorgeschwebt, Politiker einmal anders zu fotografieren. So, daß man sie nicht auf den ersten Blick in gewohnter Art erkennt. Sondern daß da irgendwie ein Bruch entsteht.«
Der Bundestagswahlkampf 1998 ist für Bernd Arnold ein idealer Anlass, Strategien der Inszenierung und Selbstinszenierung – wohlgemerkt: quer durch alle Parteien – mit der Kamera zu erkunden. Denn daß medienwirksame Selbstdarstellung letztlich Wahlkämpfe entscheidet, wissen mittlerweile alle: ein Gemeinplatz spätestens seit jenem legendären Fernsehduell zwischen Kennedy und Nixon in den frühen 60er Jahren. Politik ist heute Show. Professionell. Mediengerecht. Einer ausgeklügelten Rhetorik folgend, die noch die letzte Geste kalkuliert und nichts dem Zufall überläßt. Bernd Arnold blickt hinter die Kulissen, ohne die Kulisse zu betreten. Er entlarvt den Trott, ohne aus einer irgendwie privilegierten Position heraus zu arbeiten: Sein Standort ist der, den auch alle anderen Fotojournalisten einnehmen.
Und doch findet er zu Lösungen, die das Vertraute in einen neuen Kontext rücken und dadurch in seiner Selbstverständlichkeit ins Wanken bringen. Er entlarvt die Politik als Theater. Kühne Ausschnitte, mutige Perspektiven, eine nicht alltägliche Low-key-Asthetik relativieren den Glanz derer, die gewohnt sind im Licht und im Mittelpunkt zu stehen. Kohl gegen Schröder, Schäuble gegen Lafontaine – Bernd Arnold zeigt sie als "rhetorische Figuren": eindeutig und zugleich austauschbar. Bernd Arnold hat Politik fotografiert, ein konkretes Ereignis. Doch seine Bilder weisen über den Event hinaus. Man wird sie noch mit Staunen mustern, wenn andere regieren.
Wer auch immer.
aus Leica World 1/2000
Text © Hans-Michael Koetzle
Fotografien © Bernd Arnold
Siehe auch:
Wahl Kampf Ritual ist Teil des Zyklus "Macht und Ritual"
Christoph Schaden über Macht und Ritual, Kunsthistoriker, Köln