Fotobuch
Das Kölner Heil
Fotobuch-Kritik von Peter Lindhorst
in Photonews im September 1997, S.16
Eine Hand, isoliert, scheint über dem Buchdeckel zu schweben. Dieselbe Hand taucht mehrmals auf, mal klein, dann riesengroß, übereinander liegend, einmal um 90°, dann um 180° gedreht. Irgendwo steht klein der Titel "Kölner Heil" dann noch einmal in Riesenlettern wiederholt. Grafik-Design im Stil eines David Carson.
Die Hand ist passend gewählt, denn sie ragt unter den mit Kraft ausgestatteten Organen des menschlichen Körpers besonders hervor und kann die verschiedensten Aktivitäten übernehmen. In der Religion steht sie symbolisch für eine segnende oder heilende Kraft. Aber nicht nur sie, auch der Titel des Fotobuches verweist auf die besondere Bedeutung eines religiösen Sujets, mit dem sich der Fotograf Bernd Arnold beschäftigt: Das "Heil" stellt die zentrale theologische Kategorie einer jeden Religion dar. Es ist das Bedürfnis nach Glückseligkeit und Erlösung, die der Mensch in der Religion sucht. Heil wird zum Gut der Verheißung als Ziel existentieller Erwartung. Jegliche Motivation religiösen Handelns wird von dem Streben nach Heil bestimmt.
Es ist eine fremde, seltsame Welt, die den Betrachter der Schwarzweiß-Fotos von Bernd Arnold erwartet. Religiöse Orte und Handlungen werden dargestellt, die den Charakter einer in sich geschlossenen Welt beinhalten. Auf ähnliche Weise, wie Cristina Garcia Rodero vor einigen Jahren mit ihrem Buch "Espana Occulta" spanische Gesellschaftsschichten, deren religiösen Glauben und damit verbundene Gewohnheiten und Brauche dokumentierte und so eine bis dahin unbekannte Lebenswelt vorführte, zeigt Arnold ein autonomes Glaubenssystem, das losgelöst von gesellschaftlichen Realitäten zu bestehen scheint. Nur führt Arnold nicht das Exotische spanischer Dörfer und ihrer volkstümlichen Traditionen vor, wie dies Rodero tut, sondern er bewegt sich mitten in Deutschland. Und das ist das Irritierende – ihm gelingt es, ein Stück deutscher Wirklichkeit darzustellen, das dem Betrachter ebenso mystisch erscheint, wie die von Rodero vorgeführte Welt.
Die Fotos sind alle in Köln entstanden. "Das Kölner Heil ist eine Sache, die in diesem Umfang die Stadt Köln in der Vorstellung der Einwohner mit Rom teilt", wird am Anfang des Buches ein Zitat des Kunsthistorikers Hugo Borger wiedergegeben. Der Dom ist nicht nur der größte gotische Kirchenbau innerhalb des deutschen Sprachgebietes, seine besondere Bedeutung verdankt er auch dem Umstand, das hier bedeutende Reliquien gelagert werden, denen die besondere religiöse Verehrung gilt. Das Kölner Erzbistum stellt zudem eine außerordentlich reiche und mächtige Diözese dar.
In einem Zeitraum von zehn Jahren hat der Fotojournalist Arnold nun immer wieder daran gearbeitet, die hermetische und hierarchische Welt des Kölner Domklerus zu erfassen. Die Fragen nach Macht und religiöser Identität scheinen ihn dabei besonders interessiert zu haben, wenn er die Rituale und Handlungen der Kleriker und Gläubigen in seinen Fotos festgehalten hat. Das Gebet, die Verabreichung des Abendmahls, die Messe, vor allem aber auch Szenen verschiedener Prozessionen sind Themen seiner Fotos. Ob er nun die individuelle religiöse Handlung oder das gemeinschaftliche Erleben darstellt, die Bilder von Arnold bilden eine kritische Distanz gegenüber einem mächtigen Glaubens- und Heilsgefüge, das losgelöst vom gesellschaftlichen System besteht.
Arnolds Distanz drückt sich in den gewählten Inhalten aus, die eine seltsam anmutende Form von Frömmigkeit abbilden. Diese scheint in ihrer Antiquiertheit nicht so recht in die Realität der Gegenwart zu passen. Hier sind besonders die Fotos feierlicher Umzüge der katholischen Kirche zu nennen, bei denen Arnold die Ehrerbietung und Demut der Teilnehmer festhält.
Eine alte Frau kniet in der Kölner Innenstadt, gestützt auf einen Regenschirm, vor einem vorbeiziehenden Prozessionszug nieder. Eine andere Szene zeigtmehrere Jungen, alle in dunkle Anzüge gekleidet, die ihre Gesichter während einer Fronleichnamsprozession andächtig in ihren Händen versenken. Arnold fängt mit seinen Bildern eine spezifische Form römisch-katholischer Frömmigkeit ein, die von ihren Protagonisten im städtischen Raum Kölns praktiziert wird. Damit hinterfragt er zugleich das von ihm vorgeführte autonome Heil-System, in dem bestimmte Machtstrukturen vorherrschen.
Die kritische Sichtweise Arnolds spiegelt sich in seiner fotografischen Arbeitsweise wieder. Immer wieder wählt er überraschende Bildausschnitte und Perspektiven, die die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte klerikale Insignien (der Ring an der Hand eines hohen klerikalen Würdenträgers, die aus einem Auto gestreckt wird) sowie rituelle Handlungen (die Umarmung zweier geistlicher Würdenträger) konzentrieren soll.
Eine Betonung erfolgt aber auch durch eine Wiederholung, wenn Arnold neben das eigentliche Foto noch einmal Detailausschnitte desselben isoliert setzt, um eine Aussage zu verstärken. Ein Beispiel zeigt, wie hohe Politiker an einer Messe teilnehmen. Arnold hat sie aus einer halbnahen Einstellung als nebeneinander stehende Gruppe fotografiert. Im Buch folgen auf diese Szene noch einmal einzelne Detailausschnitte, die nur die Köpfe, losgelöst von der Umgebung, zeigen. Passbildern ähnlich wirken dann die Ausschnitte, die das individuelle Erleben in der Mimik des jeweiligen Politikers hervorheben. Ein geradezu absurder Effekt wird so erzielt.
Überhaupt sind Form und Präsentationsweise, für die sich der Fotograf entschieden hat, interessant. Ein modisches Design bestimmt die Gestaltung des Bandes, die dem vorgeführten Inhalt krass entgegensteht. Denn auf der einen Seite versucht Arnold, ein traditionelles Gefüge, das seine alten Werte und Rituale unbeeindruckt von allen Veränderungen der Gesellschaft aufrecht erhält, in seinen Bildern inhaltlich zu thematisieren. Diese baut er dann andererseits geschickt in eine Präsentationsform ein, die modisch daherkommt und im Layout und in der Typographie Magazinarbeiten ähnelt. Der Reiz ergibt sich gerade aus diesem Dualismus zwischen Form und Inhalt.
Bernd Arnold, Das Kölner Heil, Fotografien 1986-1996,
Gestaltung Winfried Heininger , 40 Abb. im Duotone,
Schaden Verlag, 1997
Siehe auch das Fotobuch:
Wahl Kampf Ritual, Fotografien 1986-2013,
Verlag Edition Panorama, Mannheim, 2013