Projekt Talk:
Bernd Arnold – Macht und Ritual
Interview von Peter Feldhaus (Sonic Blog)
Projekt Talk: Interview von Peter Feldhaus (Sonic Blog) mit Bernd Arnold über sein Langzeitprojekt Macht und Ritual, April 2009.
Peter Feldhaus (PF): Bernd, der erste Teil deines Zyklus "Macht und Ritual" zeigt Bilder aus dem Nachtleben und dem Halbweltmilieu in Köln. Im Vergleich zu späteren Arbeiten aus dem Zyklus wirken diese Bilder wesentlich offener und freundlicher. Warum ist das so?
Bernd Arnold (BA): Nun, ehrlicherweise hab ich das so noch nicht gesehen. Vielleicht liegt die freundlichere und offenere Wirkung an den Beteiligten des Milieus. Die sind sich ihrer Rolle als Machtausübende bewusster und üben sie ja auch direkter aus. Mit anderen Worten Ursache und Wirkung ist sofort nachvollziehbar. Ein Vergehen wird ja im Milieu, ähnlich wie z.B. in Straßengangs, direkt geahndet und für jeden sogleich „nett und ordentlich“ begründet. Die Hierarchien sind klar gegliedert und für die Mitglieder der Gruppe durchsichtig. Das sieht in der Religion, der Politik, der Wirtschaft und in den Medien innerhalb der Demokratie schon ganz anders aus. Da ist die Vernetzung der Rituale und der Macht sehr viel unübersichtlicher. Übrigens, das soll jetzt natürlich kein Plädoyer für die direkte Form der Machtausübung sein. Ich bin da eher auf der Suche nach Strukturen. Die Protagonisten im Halbweltmilieu sind ja als diese nicht eindeutig erkennbar, da sie in der Serie auch Teil des allgemeinen Nachtlebens waren. Vielleicht wirken die Bilder offener, da ich einen näheren Zugang hatte, was in der Politik oder Religion seltsamerweise schwieriger herzustellen ist. Trotzdem befand ich mich in einer distanzierten Beobachterrolle.
PF: Hattest du bereits bei "Nacht im Milieu", die Idee diese Arbeit zu einem großen Zyklus zu erweitern oder bist du erst über die Beschäftigung mit den Gesten und Posen in der Halbwelt darauf gekommen, wie umfassend das Thema ist?
BA: Zuerst hatte ich mit Theater zu tun. Das hat schon sehr meine Sicht der Dinge geprägt. In meiner Theaterfotografie zu Beginn des Studiums in Dortmund konnte ich mich ästhetisch frei und in aller Ruhe bewegen und ausprobieren. Aber es zog mich in die reale Welt. Und da boten sich zuerst die katholischen Rituale und Wahlkämpfe an. Allerdings noch ohne darin einen Zusammenhang zu sehen. Ich hab mich da ausschließlich von meinem Interesse an gesellschaftlichen Gruppierungen, Ereignissen und deren Inszenierungen leiten lassen, die mir fremd und doch Teil meines Lebens waren. Das war dann auch der Impuls das Thema „Nacht im Milieu“ aufzugreifen. Der erste Arbeitstitel dazu lautete noch „Kölscher Barock“ und bezog sich auf die wallenden Frisuren der ausgehenden 80er Jahren. Interessanterweise steckt in diesem Titel ja auch eine Anspielung auf eine vergangene gesellschaftliche Struktur. Der tiefere Sinn, der später unter dem Begriff „Eros“ die verschiedenen „Halbweltszenen“ zusammenfasst, entstand später mit den wenigen Farbbildern im Zyklus. Eros ist das verbindende Element innerhalb der verschieden Machtfelder.
Zum ersten Mal wurde ich mir über die Zusammenhänge Mitte der 90er bewusst und machte eine kleine Ausstellung. Dazu erschien eine Edition mit dem Titel „Sakrament und Sünde“Edition mit dem Titel „Sakrament und Sünde“ und beinhaltete jeweils sechs Bilder aus den katholischen Ritualen und dem Halbweltmilieu. Damals ein gewagtes Experiment mitten in Köln, einer katholischen Hochburg. Aber dieser Gedanke der Vergleichbarkeit dieser Rituale ließ mich nicht los und suchte nach weiteren Übereinstimmungen in den Systemen und das Verbindende innerhalb der verschieden Machtfelder. Das war eigentlich rückblickend der Startpunkt für den Zyklus „Macht und Ritual“. Eine weiterer Part war dann schnell gefunden und ich begann mit der Arbeit über das Fernsehen als Religionsersatz unter dem Titel „Ist die Erde eine Mattscheibe?“. Zeitgleich beschäftigte ich mich weiter mit den Wahlkampfritualen und auch dem Katholizismus, aus dem dann die Monographie „Das Kölner Heil“ entstand. Den letzten Teil des Zyklus startete ich dann über die Wirtschaft mit den Wirtschaftsgipfeln. Unter dem Titel „Macht und Ritual“ führte ich dann einen Teil der Bilder erstmals 2001 zusammen und wurden in der Gruppenausstellung „Denk ich an Deutschland“ bei den Internationalen Fototagen in Herten ausgestellt. Später (2004) gab es dann mit der Ausstellung in der Prager Burg die vorerst letzte Fassung mit 77 Bildern.
PF: Die Figuren in "Kölner Heil" (über die katholische Kirche in Köln) und mehr noch in "Wahlkampfrituale" wirken durch die harten Schwarzweißkontraste versteinert und entmenschlicht. Wieso diese starke Negierung des Menschlichen in den Institution von Kirche und Partei?
BA: Ich denke, für mich ging es da zuerst um die Struktur innerhalb einer gesellschaftlichen Gruppierung, mein Verhältnis zu dieser und erstmal weniger um die menschliche Nähe. Es ging mir um Menschen in ihrer Funktion als Teil eines Rituals zum Machterhalt. Dazu ist tatsächlich die abstrahierende und reduzierende Wirkung der Schwarzweiß-Fotografie gut geeignet, und es verbleiben trotz der Abstraktion authentische Spuren der Zeit. Da bin ich sehr von Roland Barthes „Die helle Kammer“ und der Semiotik Umberto Eco´s inspiriert. Die Verbindung des Punctums mit der Bedeutung der Zeichen spielt in diesem Zyklus für mich eine große Rolle. Man kann über das Zeichenhafte der Bewegungen, Körperhaltungen und Hände viel über die Emotionen der Menschen erfahren. Und auch in den Gesichtern spiegelt sich das Verhältnis jedes Einzelnen zur Macht. Ein gutes Beispiel für mich sind da die Bilder von Gerhard Schröder, der 1998 als sonniger Typ in den Medien gefeiert und immer wieder mit dieser Botschaft publiziert wurde (ein wenig ähnlich zu Obama). Mir stellte sich da ein ganz anderes Bild, dass eines sehr verbissenen und ehrgeizig kämpfenden Politikers, der unbedingt an die Macht will. Und in seinem Gesicht sieht man diese Emotion. Also, Emotionen und das menschliche Antlitz ist ein zentraler Aspekt dieser Arbeit. Interessant ist auch, dass die Bilder mit den Jahren und den Zugängen an neuen Teilen immer dunkler und düsterer wurden.
PF: "Nacht im Milieu" zeigt Bilder aus einer Welt, die normalerweise unsichtbar bleibt. Dagegen präsentiert "Ist die Erde eine Mattscheibe?" die Fernsehwelt, die uns mit einer Flut von (künstlichen) Bildern überschwemmt. "Kölner Heil" und "Wahlkampfrituale" offenbaren uralte Rituale der Macht. Zusammengenommen liest sich dieser finstere Zyklus wie eine Aufforderung, die Funktionsweisen unserer Welt oder des Staates in Frage zu stellen. Wie funktioniert die Welt für Bernd Arnold? Glaubt er an Verschwörungstheorien?
BA: Nein, überhaupt nicht. Ich sehe auch hier eher das Zusammenspiel verschiedener Strömungen, die sich zu bestimmten Zeitpunkten mit unterschiedlichen Akteuren bilden und wieder verlieren. Eher ein fließen von Ritualen und Macht. Dazu hatte Christoph Schaden 2006 ein schönes Zitat von Michel Foucault zur Beschreibung von „Macht und Ritual“ vorangestellt: „Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht.“ Es kein Zufall, dass dieser Zyklus in einer Zeit entstand, in der das kommunistische System zusammenbrach, das westliche System nach dem Verlust seiner Antipode zügellos wurde und sich nun mitten im Umbruch befindet. Eigentlich ist es doch eine spannende Zeit und da kann es schon sein, dass die Funktionsweise unserer Welt und des Staates sich selbst in die Position des Befragt-werden begibt. Also, ich sehe mich eher als aufmerksamer und kritischer Beobachter meines Umfeldes und bewege mich permanent an den Oberflächen der Erscheinungen von Macht. Interessant wird es dann mit dem Verändern der gedanklichen Perspektive auf diese Oberfläche.
PF: Kannst du uns etwas darüber erzählen wie Deine Arbeit wahrgenommen wird? Wenn ich in der Ausstellungsliste lese, dass "Macht und Ritual" 2007 in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin gezeigt wurde, so stellt sich schon die Frage nach der Wirksamkeit. Was kann Fotografie heutzutage überhaupt noch bewirken?
BA: Das war für mich auch immer wieder sehr spannend. Denn es war doch eher unwahrscheinlich, dass „Macht und Ritual“ dort ausgestellt würde. Aber inzwischen befällt mich der Verdacht, dass der Zyklus sich seine Orte selbst sucht. Denn die Prager Burg, ein Machtzentrum oder das Zeughaus-Museum in Köln, eine ehemalige Waffenkammer, finde ich schon bemerkenswert. Der zweite Gedanke der folgt ist die Erleichterung, dass dies heute möglich ist und Teil des Diskurses innerhalb der Gesellschaft sein kann.
Eine andere wichtige und gute Erfahrung war auch, dass die Arbeit in den Ausstellungen in Tokio oder in Prag von Besuchern sehr wohl verstanden wurde und das von mir gesuchte „universale“ für den einen oder anderen Betrachter sichtbar wurde. Dies ist sicher auch ein Vorteil der kulturübergreifenden Eigenschaft des Bildes.
Ich kann nicht sagen, welche Wirksamkeit die Fotografie, bzw. meine Fotografie hat. Aber ich kann sagen, was Fotografien anderer in mir bewirken. Sie hinterlassen Spuren, lassen mich an anderen Wahrnehmungen teilhaben und können meine Sichtweisen beeinflussen. Und Bilder in den Massenmedien haben ja noch weitreichendere Wirkungen. Interessant in diesem Zusammenhang ist da auch die unbeabsichtigte Gleichschaltung der Bilder, die zur Zeit in den Massenmedien stattfindet. Im Zuge der wirtschaftlichen Krise und der damit einhergehenden Einsparungen der Verlage, werden die aktuellen gesellschaftlich-politischen Ereignisse fast nur noch mit Bildern einer Handvoll Agenturen bedient, die in ihrer Bildsprache ähnlich sind. Fotografen werden da kaum noch mit dem Auftrag losgeschickt, das Ereignis mit einem kritischen Blick zu betrachten.
PF: Du arbeitest als freier Fotograf in den Bereichen News/Portrait/Reise/Reportage und wirst durch die Agentur Visum vertreten. Gibt es zwischen deinen Auftragsarbeiten und den freien Arbeiten Berührungspunkte oder sind das getrennte Welten?
BA: Da gibt und gab es viele Berührungspunkte und das war mir auch immer wichtig. Viele der Bilder aus dem Zyklus sind im Rahmen von Auftragsarbeiten für den Stern, die Taz oder DIE ZEIT entstanden, aber zum Teil habe ich Aufträge oder freie Arbeiten auch mit Ausstellungen verknüpft, wie z.B. „Wahlkampfrituale“ und „Wirtschaftsgipfel“. Diese wurden in der Kölner Van Der Grinten Galerie (früher Büro für Fotos) ausgestellt und während der Ausstellungsdauer mit neuen Bildern aktualisiert. Den redaktionellen Gedanken der Fotografie wollte ich damit in eine Galerie hineintragen. Die Idee war sozusagen eine „Illustrierte zum reingehen“. Das war schon spannend zu sehen, wie die Einladungskarten für die Vernissage verschickt wurden, obwohl es noch keine Bilder gab. Da haben wir ganz schön geschwitzt.
Ich bewege mich da zwischen den Welten der Kunst, des Journalismus und der Werbung und paradoxerweise eröffnet mir das eine gewisse Freiheit der Sicht der Dinge. Durch die fortwährenden Wechsel der Ausgangssituationen bin ich immer wieder gezwungen, meine Arbeit in Frage zu stellen und zu überlegen, was als eigener Part übrig bleiben könnte. Und es ist schon spannend zu sehen, wie der Verwertungszusammenhang die Arbeit immer wieder beeinflusst. Ich denke, das schärft den Blick für das Eigene.
PF: Du arbeitest zurzeit weiter an diesem Zyklus. Im Super-Wahljahr 2009 natürlich am Thema "Wahlkampfrituale". Ist der Themenkreis des Zyklus für dich soweit abgeschlossen, oder ist es denkbar, dass noch weitere Themen wie z. B. aus dem Bereich Wirtschaft hinzukommen?
BA: Ich hatte den Zyklus 2004 abgeschlossen - dachte ich zumindest. Aber wie das so ist, - da sind diese „unzähligen Punkte“. Die Wirtschaft wird auf jeden Fall ein Schwerpunkt sein, es gibt ja schon Bilder und neues kristallisiert sich da auch schon heraus. 2005 fotografierte ich wieder den Wahlkampf und 2009 ergibt nun sich überraschenderweise die Möglichkeit den Wahlkampf über 25 Jahre fotografiert zu haben, von Willy Brandt bis Angela Merkel. Da ergibt sich eine spannende Zeitreise in der Inszenierung der Rituale. In den 80er Jahren, sozusagen in den ersten Jahrzehnten der deutschen Demokratie, war eine große Nähe zu Politiker möglich. Auf der Bühne, neben Oskar Lafontaine stehend, zu fotografieren während er eine Rede hielt, ist heute nahezu undenkbar. Heute gibt es in der Inszenierung wunderbar sichtbare Hierarchien, da würde der Fotograf neben Angela Merkel auf der Bühne nur stören. Es hat inzwischen fast einen feudalen Charakter, wenn die Politiker mit ihrem Tross in die Halle einziehen und die Medienleute als Vertreter der Massenmedien sie umschwärmen.
Und es gibt ja noch einen neuen Zyklus, dessen Entwicklung ähnlich verläuft wie „Macht und Ritual“. Die Serie über die Fußgängerzonen „Die Zone“ ist der zweite Part nach der Serie „Das Portal“. Ein dritter Teil zeichnet sich gerade am Horizont ab. So ganz genau weiß ich nicht, wo die Reise hinführt, aber eben dies macht es ja so spannend für mich…