Dunkle Städte Helle Stätten
Warum ist es am Rhein so schön?
Ein Fotoessay über den Rhein in Anlehnung am legendären Fotobuch-Klassiker Menschen am Rhein von Chargesheimer aus den 60er Jahren.
Seitdem hat sich vieles verändert, am Rhein. Vielleicht nicht so sehr die Menschen, auf jeden Fall aber die berühmten "Umstände". Köln ist nicht mehr die gleiche Stadt, wie sie Heinrich Böll beschrieben hat – und die Rheinschifffahrt schreibt sich inzwischen auch irgendwie "moderner"...
Die Arbeit "Menschen am Rhein oder warum ist es am Rhein so schön?" wurde mit dem
Gabriel-Grüner-Stipendium von Zeitenspiegel unterstützt und entstand in Zusammenarbeit mit dem Journalisten und Schriftsteller Guido Eckert.
Archival Pigment Prints, 42x29,8cm, sig.,num, stemp.,
Edition 5 (incl. alle Formate) + 2AP, 2001/2015
Auszug aus einem Text von Guido Eckert
"Mein Rhein ist dunkel und schwermütig, ist zu sehr Fluss händlerischer Schläue, als dass ich ihm sein sommerliches Jünglingsgesicht glauben könnte."
Heinrich Böll hat das geschrieben. Und gefühlt, gelitten; geliebt. Irgendwo sonst in Deutschland fließen wohl auch noch die Elbe oder die Donau oder die Ruhr – aber im Vergleich zum Rhein scheinen sie ohne poetischen Klang, ohne Geschichte. Dabei ist der Fluss selber unspektakulär. Nicht mehr so dreckig, daß es den Wanderer vor ihm schaudert, nicht reißend schnell, nicht dunkel. Meist versteckt, meist auf Köln bezogen. Und überraschend: ist er doch mit 1300 Kilometer der längste Strom in Mitteleuropa.
In Frankreich, der Schweiz und den Niederlanden speist der Rhein längst nicht diesen Mythos, obwohl er ökonomisch von einer ähnlichen Bedeutung ist. Vergessen... Es hat zwischen Deutschland und Frankreich erbitterten Streit um den Lebensstrom gegeben, so daß er damit für Heine zum Totenstrom verkam. Vater Rhein hatte sich wesentlich teutsch aufzurichten, in seinem Flussbett, und damit gegen Frankreich. Die Herzschlagader für Deutschland, – für Frankreich die natürliche Grenze, neben den Pyrenäen und Alpen. Brausend ein publizistischer und schließlich mörderischer Krieg um das Wesentliche dieses Wassers."Teutschlands Strom – aber nicht Teutschlands Grenze", hat es geheißen, bis in den Tod hinein...
Damals allerdings sind noch die Menschen gewandert, die normalen Menschen, alltäglich; schichtübergreifend. Reiche Menschen und arme, Jugendliche und Alte, nicht in Mallorca, nicht in Tunesien, sondern in Deutschland. Auch der Fotograf Chargesheimer, 1924 als Karl Heinz Hargesheimer in Köln geboren, ist immer wieder am Ufer entlanggefahren und hat sich diesen merkwürdigen Individuen verschrieben. Heinrich Böll hat ihm assistiert und von seinen Wurzeln berichtet. Gemeinsam wollten sie einen rheinischen Kosmos umgrenzen, der unterzugehen drohte.
Inzwischen schlendert man nur noch am Sonntag. Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, für eine halbe Stunde, dann aber gebündelt an der Promenade. Als ob er reinigt, der Fluss, der Lebensstrom, als ob es eine spirituelle Läuterung bewirkt, dort spazieren zu gehen. Jeden Sonntag. Immer wieder. Das ganze Jahr hindurch.
Ob wir nun in Oberdollendorf oder Oberwesel, Hauptsache: Oben wandern. Die Städte und ihre Feste sind bald nicht mehr zu unterscheiden. Es sind die gleichen alten Häuser, aus den fünfziger Jahren, die Weinköniginnen und Blechblasintonationen. Wir finden verlorene kleine Städte, ohne Jugend, ohne Sagen.
Weder das Rheingold noch die mordlüsterne Loreley, weder Elfen oder verhungerte Königstöchter.
Die Gewehre sind nicht mehr geladen, und die Weinkönigin ist zugereist. Die ausländischen Touristen stieren abseits der Proklamationen in das Rheintal hinunter und achten auf ihren Busfahrer. Er ist schließlich für sie der wichtigste Mann auf dieser Tour. Der Busfahrer ist auch der einzige Deutsche, den sie kennen lernen.
Wir haben die Gemälde des berühmten William Turner vor Augen und suchen eine mystische, zerrissene Landschaft. Kopfphantasien. Turner ist schließlich elfmal an den Rhein gereist – weil es Mode war, zu seiner Zeit.
Es war die Zeit der Schauerromane, die sich in Ruinen abspielten, in Schlössern und Gewölben. Angefüllt mit Gespenstern und Geistern. Und in der Phantasie bot die damalige Rheinlandschaft einen idealen Nährboden. Kein Flachland, sondern schroffe Felsen, zudem mittelalterliche Bauten, vorbildlich verfallen. Pittoreske Ruinen und scheinbar ewiglich überalterte Städtchen.
Lord Byron verglich die Rhein-Landschaft in einem seiner Romane gar mit der Landschaft Griechenlands. Darauf hin blühte der Tourismus aus England. Die Rheinlandschaft galt plötzlich als wild und ungezähmt.
Es war vielleicht die einzige Zeit, in dem Deutschland ein solches Image besaß. Heute ist alles vorschriftsmäßig betoniert. Mit Kaugummiflecken übersät und mit Plastikbechern. Blasmusik. Und Einsamkeit. Das ganze Jahr hindurch...