Edition Künstlerzeitung No. 4
Raumforderung oder was ist Faschismus?
Künstlerzeitung, Ausgabe #4, Auflage 20, Zeitungsdruck, 24 Seiten Köln, 2022.
„Der Faschismus gehört zu unserer Geschichte. Er ist eine permanente Bedrohung für die liberale Demokratie und für die soziale Demokratie, die beide im Geist der Aufklärung verwurzelt sind. Es ist ein ruhendes Phänomen: In Zeiten von Frieden und Wohlstand fühlt man seine Existenz nicht..." (Zeev Sternhell in einem Interview mit der taz 2016)
In den letzten Jahren stellte sich immer häufiger die Frage: Was ist eigentlich Faschismus? Dazu können hier zwei wichtige Publikationen genannt werden, um den Nebel ein wenig zu lichten. Zum einen gibt es den Vortrag von Umberto Eco „Der ewige Faschismus“ (1995) und zum anderen eine wissenschaftliche Arbeit über die Entstehungsgeschichte des Faschismus, beschrieben von Zeev Sternhell in „Faschistische Ideologie – Eine Einführung (1976).
Eco beschriebt in seinem Vortrag 1995 (Colombia Universität, New York) 14 Grundmerkmale des Ur-Faschismus und sieht Faschismus als einen Sammelbegriff der verschiedenen Ausprägungen totalitärer, nazistischer und autokratischer Systeme. Dagegen führte Sternhell aus, wie seit Mitte des 19. Jahrhunderts über die unterschiedlichsten Länder, politischen Strömungen und die wichtigsten Intellektuellen ihrer Zeit alle Zutaten des Faschismus bis vor dem 1. Weltkrieg formuliert und unabhängig voneinander in ihren Einzelteilen dem Mainstream geläufig waren.
Beiden Autoren sehen den Faschismus als eine beständige Gefahr für demokratische Systeme sehen. Denn dort, wo Demokratie scheitert oder zu scheitern beginnt, lassen sich ur-faschistischen Merkmale bzw. Archetypen beobachten. Diese führen, wenn man sie lässt, letztlich zu vertikalen Machthierarchien.
Eine wichtige Frage unserer Zeit – gerade auch im digitalen Zeitalter bzw. Zeitenwende – ist, wie sich Demokratien vor den immer stärker werdenden Bestrebungen unterschiedlichster Gruppierungen bei der Etablierung vertikaler Machtstrukturen schützen kann, die letztlich in totalitären Strukturen enden und in letzter Konsequenz immer in Kriege münden.
In meiner neuen Bildserie Raumforderung verknüpfe ich 14 von Umberto Eco benannten Merkmale des Ur-Faschismus (Der ewige Faschismus S. 30-38), die Schrift von Zeev Sternhall (Faschistoide Ideologie – Eine Einführung) und meine – natürlich subjektiven – Beobachtungen der neuen modernen Erscheinungsformen des Faschismus, die sich in den sozialen Netzwerken und Medien finden lassen. Die jeweiligen Bilder zu den Statements sind innerhalb der Serie austauschbar.
Merkmale des Ur-Faschismus
(nach Umberto Eco)
- 1 Kult der Überlieferung
- 2 Traditionalismus
- 3 Irrationalismus
- 4 Synkretistischer Glaube
- 5 Angst vor dem Andersartigen
- 6 Appell an die Frustrierten
- 7 Nationalismen
- 8 Zu stark und zu schwach
- 9 Kollaboration mit dem Feind
- 10 Elitedenken
- 11 Heldentod
- 12 Machismo
- 13 Selektiver Populismus
- 14 Newspeak
Für alle, die sich fragen, ob es sich bei den hier gezeigten Arbeiten noch um Fotografie handelt, können sich mit der Arbeit von 2022 zur digitalen Zeitenwende So habe ich es gesehen Erleichterung verschaffen.
Aktuelle Ausstellung
DFA und Darmstädter Fototage 2023
31 Mitglieder der Deutschen Fotografischen Akademie (DFA) zeigen unter dem Titel "Tilt/Shift – Experiment als Normalzustand" Arbeiten im Rahmen der Darmstädter Tage der Fotografie. Aus der Bildserie Raumforderung oder was ist Faschismus wird eine Arbeit gezeigt.
Ausstellungsdauer: 28. April – 8. Mai 2023
Justus-Liebig-Haus | Große Bachgasse 2 | 64283 Darmstadt