Dichografie Dichografie oder Fotografie

Dichografie

Was ist eine Dichografie?

Der Begriff Dichografie (aus altgriechisch dícha, »zweifach, doppelt«) verweist auf eine binäre Bildspeicherung und auf ein Parallel-Universum der Bilder. Dichografie ist eine Imitation von Fotografie.

Der Begriff Dichografie ist am Begriff Dichotomie angelehnt. Dieser bezeichnet die Kategorisierung von zwei Objekten der gleichen Art, die einander ohne Schnittmenge gegenüberstehen, aber dennoch aufgrund bestimmter Merkmale als zusammengehörig wahrgenommen werden. Dichotomie bedeutet wörtlich auch »Halbieren, Zerschneiden«.

Bild links: Europawahlkampf 2019 – Fotografie oder Dichografie?

Dichografie ist (auch) eine Imitation von Fotografie

In einer Dichografie wird mit verschobenen, ausgetauschten, hinzugefügten oder neu zusammengestellten fotografischen Elementen die Abbildung einer Wirklichkeit simuliert, die durch die Stilmittel der Dokumentarfotografie oder des Fotojournalismus einen hohen Grad an Authentizität imitiert.

Da Fotografie ein weites Feld ist, beziehe ich mich hier auf Fotografie als Zeitkapsel, wie sie beispielsweise in der Dokumentarfotografie oder im Fotojournalismus praktiziert wurde und wird. Wobei auch die subjektive Sicht der Autorinnen oder Autoren Teil der Authentizität der Zeitkapsel ist. Um hier einen möglichst hohen Grad an Authentizität zu erreichen, ist wesentlich, dass im späteren Verarbeitungsprozess die übertragenen und fixierten Lichtspuren der Szenerien oder Objekte auf dem Bildträger nicht nachträglich verschoben werden.

Der Unterschied einer Dichografie zu einer analog oder analog-tradierten Fotografie als Zeitkapsel entsteht in dem Moment, wenn mit Hilfe digitaler Techniken fotografische Elemente innerhalb des Bildes verschoben, Bildteile hinzugefügt, ausgetauscht und/oder komplett künstlich generierte Bildelemente zusammengefügt werden.

In einer Dichografie können Bildteile selbst fotografiert, manuell verschoben, hinzugefügt und/oder komplett neu zusammengestellt sein oder durch eine KI erzeugt und entsprechend auf Anweisung der Autoren und abhängig vom »Erfindungsgeist« der KI (Künstliche Intelligenz) anpasst sein.

Das Wesentliche einer Dichografie ist, dass die einstmals »festgehaltenen« Lichtspuren einer realen Szenerie »verschoben« sind und damit die Eigenschaft als Zeitkapsel verliert (bzw. aufgrund einer KI-Generierung gar nicht erst vorhanden war), aber dennoch eine Fotografie perfekt imitiert und einen hohen Grad an Authentizität simuliert.

In fiktiven Bild- oder Filmproduktionen sind diese Möglichkeiten nichts Neues. Aber im journalistisch-dokumentarisch-nachrichtlichen Bereich, der für Demokratien wesentlich ist, ergibt sich eine grundlegend neue Situation. Neue Technologien der KI, der Bildbearbeitung und Möglichkeiten der Publikation, die für ALLE günstig und einfach zugänglich sind, macht die Produktion und Verbreitung von Dichografien massenhaft möglich. Das wird die Wahrnehmung von Fotografie verändern.

Die von Günter Anders 1980 beschriebene Bilderflut bekommt heute eine gänzlich andere Wendung, wenn man sie sich als eine Flut von Dichografien vorstellt:

»…, weil wir von Bildern vielmehr umstellt, weil wir einem Dauerregen von Bildern ausgesetzt sind. Früher hatte es Bilder in der Welt gegeben, heute gibt es ›die Welt als Bild‹, richtiger: die Welt als Bild, als Bilderwand, die den Blick pausenlos fängt, pausenlos besetzt, die Welt pausenlos abdeckt.«
Anders, G.: Die Antiquiertheit des Menschen – Band 2, München 1980, S. 250

Ab 6. Oktober 2023 erhältlich:

Die Welt der Neuen Bilder
Dokumentarische Fotografie und KI neu!

Taschenbuch, 14,5 cm x 19,8 cm, 144 Seiten, 25 sw Abbildungen, morisel Verlag,
ISBN: 978-3-943915-60-0

Die künstliche Intelligenz schafft völlig neue Möglichkeiten in der Erzeugung von Bildern. Denn erstmals sind alle Bildgebungstechniken der Kunstgeschichte in einem Werkzeug zusammengeführt, ausführbar von jedem Computerbesitzer ohne besondere Fachkenntnisse. Damit lassen sich Bilder erstellen, die aussehen wie Fotografien, aber keine sind. Da stellen sich die Fragen: Was bedeutet das für die Fotografie im Allgemeinen und die dokumentarische Fotografie im Besonderen? Eine Diskussion über diese Fragen ist überfällig, wenn man bedenkt, dass das Vertrauen in die Authentizität von Fotos fast 200 Jahre lang die Menschheitsgeschichte mitgeprägt hat.
Wir betreten eine Neue Welt in der authentische Fotos und KI-generierte Fotografie-Imitationen bei der Bildung unseres Welt- und Geschichtsbildes miteinander konkurrieren werden.

Die Technik- und Wahrnehmungsgeschichte der Fotografie wird hier in dreie Essays analysiert, das Neue und Innovative der KI beschrieben und die zukünftigen Rolle der dokumentarischen Fotografie und deren Produzenten beleuchtet.

Die Welt der Neuen Bilder: Über die zukünftige dokumentarische Fotografie und Komposition politischer Ereignisse – Dichografien
»Es sind nicht die sensationellen Bilder, die das Vertrauen untergraben sondern die Bilder, die wie alltäglich gewohnte Fotografien erscheinen, aber Fotografie imitieren, Realität modulieren und in den gewohnten Kanälen im Laufe der Jahre zunehmend verbreitet werden.«